Ohne Planung geht es nicht

Rouven Müller ist Unternehmensberater und Experte für agiles Arbeiten. Ein Gespräch über echte Vorteile und Marketing-Märchen und warum es sich lohnt, agile Methoden mit additiver Fertigung zu kombinieren.

Herr Müller, jeder redet vom agilen Arbeiten. Und viele tun es mittlerweile auch. Ist es so einfach, langjährige Prozesse umzustellen?
Viele Unternehmen machten am Anfang den Fehler, agile Vorgehensweisen einfach überzustülpen. Sie haben nicht untersucht, welche Mitarbeiter sie haben, welche Fähigkeiten diese mitbringen, welche Kultur und Denkweise im Unternehmen herrscht. Dann sind sie in eine schale Position gekommen: Sie wurden enttäuscht, weil die Mitarbeiter nicht gewohnt waren, so zu arbeiten. 
 
 
Haben sich die Unternehmen übernommen?  
Ja, zum Teil haben sie das. Die Phasen, die Unternehmen dann durchlaufen folgen dem Hype-Zyklus nach Gartner. Am Anfang steht ein technologischer Auslöser, dann gibt es einen Gipfel der überzogenen Erwartungen, dann kommt ein Tal der Enttäuschung, weil einfach zu viel von den Verfahren und neuen Technologien erwartet wurde. Dem folgt ein Pfad der Erleuchtung. Hier erreichen die Unternehmen ein Plateau, wo diese neue Technologie und das neue Denken produktiv werden. Die, die es ein bisschen lockerer angegangen sind und sich mehr damit beschäftigt haben, was Agilität im Kern bedeutet, bei denen funktioniert es bis heute gut. 
  
Warum entscheiden sich Unternehmen überhaupt dazu, agil zu arbeiten?
Viele Unternehmen machen ja heute nichts falsch und setzen auf Produktentwicklungsprozesse, die ebenso wenig falsch sind. Andernfalls würden sie nicht mehr existieren. Eine Herausforderung heute ist aber, dass wir in einer Welt leben, die extrem vernetzt ist. Das konnten wir auch in der Pandemie erleben, wo Produktentwicklungsprozesse, die ganz stark einem strikten Prozess folgen nicht mehr funktionierten. Genau deshalb beschäftigen sich Unternehmen mit Agilität, damit sie reaktionsschneller sind und auch schnell neue Anforderungen in den Prozess integrieren können. Zusätzlich dazu verhilft agiles Arbeiten Unternehmen mehr Transparenz, ein gemeinsames Verständnis und eine höhere Kundenorientierung zu erreichen. Leider gab es in letzter Zeit  marketingtechnisch schon viel Hype um das Thema und es wurde so verkauft, als ob die Unternehmen jetzt jahrelang etwas falsch gemacht hätten. 
 
Was ist denn ein solches Marketing-Märchen? 
Was uns am meisten gestört hat, waren Aussagen wie: Agilität macht Planung obsolet. Denn: Wenn Sie agil entwickeln, haben Sie mehr Planung als vorher. Sie müssen vor jedem Sprint eine Planung machen. Wie viele Aufgaben fallen an, wie viele Elemente nehme ich in einen Sprint mit hinein, um in einer gewissen Zeit zu einem Ergebnis zu kommen. Sie müssen organisatorisch dafür sorgen, dass Werkzeuge und Ressourcen zur Verfügung stehen, damit Sie während des Sprints nicht von Nebensächlichkeiten abgelenkt werden. Bei einer agilen Vorgehensweise müssen Sie genauso planen, wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr. 
  
Was ist eigentlich ein Sprint?
Ein Sprint bezeichnet einen fix festgeschriebenen Zeitabschnitt. Der kann bei einem kleinen Unternehmen über mehrere Tage gehen oder auch nur ein paar Stunden. Innerhalb davon werden nur ausgesuchte Themen behandelt. Es kommt kein Tagesgeschäft dazwischen oder ein Chef, der einen aus dem Meeting holt. Das Team konzentriert sich ganz auf eine vorher definierte Aufgabe und am Ende des Sprints steht ein ausgewiesenes Ziel, das dann erreicht sein muss. 
  
Was wird denn durch agile Vorgehensweisen wie Sprints erreicht? 
Wir erleben, dass besonders die Transparenz steigt und auch die Zusammenarbeit. Da hinkt es oft in großen Unternehmen, wo die eine Abteilung nicht genau weiß, was die andere Abteilung macht. Das ist ein großer Vorteil, dass die Menschen zusammenkommen und in interdisziplinären Teams arbeiten. Da sehen wir große Chancen. Das bringt ein Unternehmen voran und sorgt auch dafür, dass wieder kurzfristig reagiert werden kann. 
  
Agile Methoden haben ihren Ursprung in der Software-Entwicklung. Wo liegt der Unterschied  beim Einsatz agiler Methoden in der Produktentwicklung? 
Wir sprechen hier von der Entwicklung physischer Produkte. Das heißt, wir haben Lead-Times von Lieferanten zu berücksichtigen, oder eine spezielle Dokumentation zu erfüllen aufgrund von beispielsweise rechtlicher Vorschriften. Das verlangt nach hybriden Ansätzen – also der Kombination von klassischen und agilen Praktiken in der Produktentwicklung. 
  
…und die Prototypen werden additiv produziert. Was macht die Kombination agile Methoden / additives Fertigungsverfahren aus? 
 
Es ist ein besonderes Prinzip. Wenn Sie Produkte agil entwickeln, passiert das inkrementell, also schrittweise. So wird am Anfang auf das starre Lasten- und Pflichtenheft verzichtet, stattdessen bleiben die Entwickler offen für die Änderungswünsche des Kunden. Inkrementell bedeutet dann, dass Sie das Produkt in Sprints schrittweise aufbauen. Sie erarbeiten zu Beginn der Entwicklung eine funktionale Struktur des Produkts und von dort aus definieren Sie die zu entwickelnden Produkt-Inkremente. Nach jedem Sprint gibt es ein sogenanntes Review mit dem Kunden, bei dem das Produkt-Inkrement  angeschaut wird, um zu überprüfen, ob die Anforderungen erfüllt wurden. Hier spielen die additiven Fertigungsverfahren eine große Rolle, weil sie es ermöglichen solche Produkt-Inkremente kostengünstig herzustellen. Hohe Kosten für Werkzeuge oder Fertigung der Losgröße 1 beim Fräsen oder Guss entfallen.
 
Kommt diese Kombination bereits zum Einsatz? 
Noch weniger. Besonders in den Entwicklungsabteilungen könnte sie mehr eingesetzt werden, um funktionale Fehler, die man so schon frühzeitig erkennen kann, zu vermeiden. Außerdem kann so  das Risiko minimiert werden, dass das Produkt am Markt scheitert. Da hinkt es noch bei vielen Unternehmen.
 
Mehr von Rouven Müller (Krehl & Partner) lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von Industrie 4.0 Management: Produkte agil entwickeln mithilfe Additiver Fertigung.

Foto: Copyright Krehl & Partner 

 

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