Lean-IT - Anwendbarkeit bewährter Lean-Management-Methoden in der Unternehmens-IT

Tobias Fischer und Benedikt Schmieder

Der Einsatz bewährter Prinzipien und Methoden des Lean-Managements in der Unternehmens-IT kann inzwischen als machbar und sinnvoll angesehen werden. Für eine Anwendung in der Breite fehlt es jedoch bisher an einer direkten Verknüpfung zwischen Lean-Werkzeugen und den Problemstellungen in modernen IT-Abteilungen. Im Rahmen der durchgeführten Expertenbefragung kann in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass einzelne Lean-Methoden sowohl gezielt in konkreten Handlungsfeldern der IT eine positive Wirkung erzielen können, als auch, dass bestimmte IT-Teilbereiche im Gesamten vom Einsatz etablierter Lean-Methoden profitieren können.

Die Idee, klassische Lean-Methoden aus dem Produktionsumfeld in andere Unternehmensbereiche zu transferieren und dort anzuwenden, ist nicht gänzlich neu und kann als umsetzbar angesehen werden [1]. Zahlreiche Publikationen zeigen dies anhand von Praxisbeispielen oder anhand akademischer Forschung [1, 2]. Gleichzeitig sind viele IT-Organisationen in kleinen und mittleren produzierenden Betrieben bereits seit vielen Jahren damit konfrontiert, sich zum wettbewerbsfähigen internen Dienstleister weiterentwickeln zu müssen, um Transparenz hinsichtlich der Kosten zu erreichen und ihren Beitrag an der Wertschöpfung der Kernprozesse der Unternehmung zu leisten [3, 4]. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung in der industriellen Fertigung verstärkt den Umsetzungsdruck deutlich. Häufig fehlen die zu dieser Transformation notwendigen personellen und fi nanziellen Ressourcen, um entweder in der IT bewährte, aber umfangreiche Frameworks wie beispielsweise ITIL (IT Infrastructure Library) oder CobiT (Control Objectives for Information and Related Technology) einzuführen, oder aber auch, um die kompletten IT-Prozesse allumfassend nach Lean-Prinzipien auszurichten. Daher ist für diese Organisationen die Anwendung von vergleichsweise leichtgewichtigen und voneinander unabhängigen Lean-Werkzeugen interessant, um je nach individueller Situation problematische Teilbereiche der IT zu optimieren. Hierzu ist es essenziell, zu wissen, welche Lean-Methoden in den einzelnen Aufgaben- und Tätigkeitsbereichen der IT-Organisation überhaupt sinnvoll angewendet werden können und wo die größten Potenziale für Verbesserungen durch den Einsatz ebendieser Werkzeuge liegen. Bei den nachfolgenden Ausführungen steht deshalb die Schaff ung eines breiten Überblicks im Vordergrund und nicht die Betrachtung einzelner Werkzeuge im Detail.

 


Bild 1: Gängige Lean-Prinzipien und
ein Auszug wichtiger Werkzeuge.

Lean-IT

Der Begriff Lean-IT, oft auch Lean-IT-Management, bezeichnet die Anwendung einfacher und langjährig erprobter Denkweisen und Instrumente der industriellen Fertigung in der IT, die das Ziel haben, zu effektiven und effizienten Prozessen zu gelangen [2]. Kobus definiert in [1] Lean-IT allgemein als ganzheitliches Managementsystem, das auf einer Philosophie sowie Prinzipien und Werkzeugen basiert. Das Ziel ist eine systematische Verwaltung von kontinuierlicher Verbesserung durch die Reduktion von Verschwendung und Schwankungen. Damit verbunden ist die Erhöhung der Wertschöpfung sowie der Flexibilität aller IT-Bereiche [1]. Dabei erfordert die Ausrichtung von Unternehmensteilen nach Lean-Prinzipien und die Anwendung von Lean-Methoden immer die aktive Mitarbeit der beteiligten Personen und eine Veränderung der vorherrschenden Unternehmenskultur [1, 2]. In einigen Bereichen der IT hat sich Lean-IT, oder zumindest einzelne, darunter subsumierbare Methoden, bereits etabliert. So stehen agile Vorgehensweisen, wie Scrum in der IT-Applikationsentwicklung, beispielhaft für die Übertragung der Lean-Denkweisen in die IT. Auch die Einführung von physischen oder virtuellen Kanban-Boards zur Aufgabensteuerung in Entwicklerteams oder im IT-Betrieb wird mittlerweile in der Unternehmenswelt vorangetrieben.


Konzeption und Methodik der Untersuchung

Für die Untersuchung, die als Expertenbefragung nach dem Vorbild der Delphi-Methode erfolgte, wurde zu Beginn die Festlegung der sich im Fokus befindlichen Lean-Methoden und der Rollen in IT-Organisationen vorgenommen. Die erste Dimension bilden dabei die in Bild 1 dargestellten Lean-Werkzeuge. Diese Werkzeuge werden zur konkreten Umsetzung der übergeordneten, eher abstrakten Lean-Prinzipien eingesetzt, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen.

Die Kernidee des Ziehprinzips und dessen Werkzeugen ist das Auslösen der Produktion durch die Nachfrage des nachgelagerten Prozessschritts. Die Produktion soll nur durch den konkreten Kundenauftrag starten, was im Vergleich zur bewährten Produktionsplanung, die aus dem Absatzplan einen Produktionsplan generiert, einen Paradigmenwechsel darstellt. Mit dem Taktprinzip werden einzelne Prozessschritte so ausgelegt, dass die Arbeitsinhalte gleich lang dauern und dadurch eine Pufferlagerung zwischen den Prozessschritten entfällt. Auch bei diesem Prinzip ist der Kunde der ausschlaggebende Faktor, auf den der Arbeitstakt auszulegen ist [5]. Neben der Reduzierung von Durchlaufzeit und Kosten ist die Erhöhung der Qualität eines der Hauptziele der schlanken Produktion. Das Null-Fehler-Prinzip definiert eine fehlerfreie Produktion, bei der keinerlei Ausschuss erzeugt werden soll. So entfallen auch damit verbundene Nacharbeitsaufwände. Das Flussprinzip legt den Fokus des Prozesses auf das Produkt und versucht den Wertschöpfungsanteil zu erhöhen, indem unnötige Schleifen, Wege oder Arbeitsschritte vermieden werden [6]. Zudem unterstützen die übergreifenden Methoden, die nicht direkt einem der vier etablierten Prinzipien zugordnet werden können, den Grundgedanken der Lean-Philosophie bei der Verschlankung des Unternehmens durch konsequente Eliminierung von Verschwendung.

Die zweite Dimension der Expertenbefragung beinhaltet die Rollen beziehungsweise Handlungsfelder, die in der Unternehmens-IT vorhanden sind. Diese Rollen entsprechen Tätigkeits- und Aufgabenbereichen von Mitarbeitern (beispielsweise Systemadministration, Lizenzmanagement, Applikationsentwicklung). Die Rollen können jedoch auch eher prozess- orientierte Bezeichnungen sein (beispielsweise IT-Risikomanagement, IT-Service-Management). Aufgrund der großen Heterogenität hinsichtlich der inneren Aufbau- und Ablauforganisation von Betrieben und deren IT-Abteilungen existiert keine allgemeingültige Definition und Unterteilung. Eine Basis für den im Rahmen der Expertenbefragung genutzten Ansatz bieten Riempp u. a. in ihrem Referenz-Framework [3]. Daraus abgeleitet werden vier Teilbereiche festgelegt (Bild 2):
Der Teilbereich IT-Governance und -Compliance hat die Aufgabe, aus der Unternehmensstrategie eine spezifische IT-Strategie abzuleiten und damit sicherzustellen, dass die Unternehmensstrategie und -ziele eingehalten werden können [7]. Wichtig sind hierbei vor allen Dingen die Entwicklung von IT-Zielen und eine unter anderem durch IT-Controlling überwachte Einhaltung ebendieser. Im Rahmen des IT-Projekt- und -Portfoliomanagements werden Neuerungen und Veränderungen in der IT-Abteilung und an den eingesetzten Technologien, Prozessen und Produkten geplant und gesteuert. Das Aufgabenspektrum des Teilbereichs IT-Applikationen beinhaltet unter anderem die Entwicklung und Administration von Applikationen oder auch die Planung von vollständigen Applikationsarchitekturen. Durch den IT-Betrieb wird die technische Infrastruktur bereitgestellt und betrieben, die für das Erbringen der IT-Services notwendig ist. Hierzu zählen Server- und Speichersysteme, Netzwerk- und IT-Sicherheitskomponenten, etc.


Bild 2: IT-Teilbereiche und Rollen/Handlungsfelder in IT-Organisationen.

Die verschiedenen IT-Rollen wurden für die Expertenbefragung jeweils einem der oben genannten Teilbereiche zugeordnet (Bild 2). Wie die tatsächliche Unterteilung in einzelne Teams in der Praxis erfolgt, ist sehr individuell, in Bezug auf die erfolgte Gegenüberstellung aber nicht relevant. Die genannten Teilbereiche können sowohl in traditionellen Strukturen von sehr rollenhomogenen Teams (eine, oder wenige Rollen pro Team), als auch von sich fl exibel zusammensetzenden und agil arbeitenden Einheiten (viele Rollen pro Team) übernommen werden. Je kleiner die Unternehmensgröße, desto wahrscheinlicher ist zudem die Wahrnehmung mehrerer Rollen pro Mitarbeiter.

Im Rahmen der Expertenbefragung erfolgte eine 1:1-Gegenüberstellung von insgesamt 23 Lean-Methoden und 21 IT-Rollen in einer Matrix. Es wurde für jedes Lean-Werkzeug eine Bewertung vorgenommen, welche Effekte bei Anwendung im jeweiligen IT-Handlungsfeld beziehungsweise auf die IT-Rolle zu erwarten sind.  

Die Ergebnisse der Befragung werden wie folgt abgebildet: „++“ steht für einen stark positiven Effekt auf die IT-Rolle bei der Anwendung des Lean-Werkzeugs, „+“ für einen positiven Effekt. „0“ bedeutet, dass eine Anwendung des Lean-Werkzeugs entweder grundsätzlich nicht möglich ist, oder der Einfl uss bei möglicher Anwendung als neutral zu sehen ist. „-“ steht für einen negativen Effekt bei der Anwendung des Lean-Werkzeugs auf die entsprechende IT-Rolle, „--“ für einen stark negativen Effekt. So entsteht eine Gesamtmatrix mit 483 direkten Gegenüberstellungen.

Durch diese Art der Gegenüberstellung in Form einer Matrix lassen sich zwei grundlegende Fragenstellungen beantworten. Erstens: Die Anwendung welcher Lean-Werkzeuge führt in einem bestimmten Handlungsfeld mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verbesserung der Situation (1 IT-Rolle zu n Lean-Werkzeugen)? Unternehmen können hieraus also bei Problemen in einem bestimmten Aufgabenbereich ableiten, welches Lean-Werkzeug zu einer Verbesserung der Situation führen könnte. Zweitens: In welchen Handlungsfeldern führt die Anwendung eines bestimmten Lean-Werkzeugs mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verbesserung der Situation (1 LeanWerkzeug zu n IT-Rollen)? Dies ist speziell in dem Fall empfehlenswert, wenn im Unternehmen und insbesondere in der IT-Abteilung bisher wenig Erfahrung mit Lean-Prinzipien vorhanden ist, oder zunächst eines beziehungsweise wenige Lean-Werkzeuge fl ächig umgesetzt werden sollen.

 


Bild 3: Anwendbarkeit der Lean-Werkzeuge in den IT-Teilbereichen.

Ergebnisse

Für die Auswertung erhält jedes Element der Matrix einen Zahlenwert: „++“ entspricht 2, „+“ entspricht 1, „0“ entspricht 0, „-“ entspricht -1, „--“ entspricht -2. Bild 3 zeigt das Ergebnis der erfolgten Expertenbefragung in aggregierter Form. Pro IT-Teilbereich wird das arithmetische Mittel der numerischen Bewertungen der darin enthaltenen Rollen (siehe oben) berechnet. Bei den in Bild 3 hellgrün gefärbten Feldern (arithmetisches Mittel ≥ 0,5 und < 1,5) ist bei der Mehrheit der Rollen bei Anwendung des jeweiligen Lean-Werkzeugs von positiven Effekten auszugehen. Bei den dunkelgrün gefärbten Feldern sogar von überwiegend stark positiven Effekten (arithmetisches Mittel ≥ 1,5). Alle gelb gefärbten Methoden-Teilbereich-Kreuzungen (arithmetisches Mittel > -0,5 und < 0,5) lassen im Gesamten keine genaue Aussage zu. Entweder ist die Anwendbarkeit als nicht sinnvoll zu erachten, oder positive und negative Effekte der einzelnen Rollen heben sich durch die Aggregation in Bezug auf die jeweilige Lean-Methode für diesen IT-Teilbereich im Mittel auf. In diesen Fällen ist eine detaillierte Betrachtung der Gesamtmatrix im konkreten Anwendungsfall in Unternehmen notwendig. Jene Kreuzungen mit roter Färbung haben überwiegend negative Effekte (arithmetisches Mittel ≤ -0,5 und > -1,5). Die Bewertung „--“, also stark negativ, ist in der Gesamtmatrix zwar vorhanden, in der zusammengefassten Ergebnismatrix ergibt sich das arithmetische Mittel ≤ -1,5 jedoch nicht.

Über alle IT-Bereiche hinweg ist der Einsatz der Lean-Methoden Visualisierung, Standardisierung und kontinuierliche Verbesserung als am vielversprechendsten anzusehen. Hier bietet sich eine Einführung in möglichst vielen IT-Teilbereichen an. Ebenfalls eine Wirkung in der Breite ist von den Werkzeugen Verschwendungsarten, Baukastenprinzip, sowie Durchlaufzeitenanalyse zu erwarten.

Die Teilbereiche IT-Betrieb und IT-Applikationen profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit am meisten von der Unterstützung durch Lean-Methoden. Tätigkeiten des operativen Tagesgeschäfts zeichnen sich hier meist durch einen hohen Wiederholungsgrad aus und haben oft den Charakter einer Serienfertigung, wie zum Beispiel das Anlegen von Benutzerkonten, das Bereitstellen von virtuellen Maschinen oder die Vergabe von Berechtigungen. In diesem Zusammenhang lassen sich bei konkreten Problemen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der einzelnen Teilbereiche gezielt Werkzeuge anwenden.
Der komplette Serviceprozess der IT vom Sourcing bis zur Bereitstellung beim internen Kunden kann durchgehend durch die Anwendung passender Lean-Methoden optimiert werden. An dieser Stelle kann von einer ähnlichen Wirksamkeit wie bei den wertschöpfenden Prozessen eines Unternehmens (Herstellung von Produkten) ausgegangen werden.

Nur geringe Anwendbarkeit über alle Lean-Werkzeuge hinweg herrscht bei IT-Rollen, die eher strategischer Natur sind und keine bis wenige operative Tätigkeiten beinhalten, bei spielsweise IT-Strategie, IT-Risikomanagement, Enterprise Architecture Management etc.
Negative Auswirkungen sind insbesondere in zwei Konstellationen zu erwarten. Zum einen gibt es Tätigkeiten, wie zum Beispiel bei der IT-Notfallplanung, bei denen klare Verantwortlichkeiten notwendig sind. In diesen Fällen ist von der Anwendung des Werkzeugs Job-Rotation dringend abzuraten. Außerdem ist generell auf mögliche Widersprüche zu achten. Auch wenn zum Beispiel die Methode One-Piece-Flow klassisch auf Serienprozesse anzuwenden ist, ist dies im IT-Betrieb unter Umständen problematisch. Hier muss trotz vorhandener wiederkehrender Tätigkeiten häufig auf unvorhergesehene Ereignisse reagiert werden können (Auftreten von Störungen, IT-Sicherheitsvorfälle, etc.), was zu einer ständigen Unterbrechung des Flusses führen würde.


Fazit

Abschließend ist festzustellen, dass die gezielte, problemorientierte Anwendung von Lean-Werkzeugen in der IT insgesamt großes Potenzial bietet. Insbesondere Tätigkeiten mit Wertstromcharakter sind hierfür prädestiniert. Eine genaue Analyse der konkreten Situation im Unternehmen hinsichtlich bestehender Problemfelder ist im Vorfeld jedoch zwingend durchzuführen, um eine optimale Auswahl der anzuwendenden Werkzeuge zu ermöglichen.

Beitrag als pdf herunterladen
 

Schlüsselwörter:

Lean-Management, Lean-IT, IT-Management, Lean-Werkzeuge

Literatur:

[1]  Kobus, J.: Demystifying Lean IT: Conceptualization and Definition, in Multikonferenz Wirtschaftsinformatik (MKWI). Ilmenau 2016.
[2]  Müller, A.; Schröder, H.; von Thienen, L.: Lean IT-Management - Was die IT aus Produktionssystemen lernen kann. Wiesbaden 2011.
[3]  Riempp, G.; Müller, B.; Ahlemann, F.: Towards a Framework to Structure and Assess Strategic IT/IS Management, in ECIS 2008 Proceedings. Galway, Ireland 2008.
[4]  Tiemeyer, E.: IT-Organisation – Strukturen, Prozesse, Rollen, in Handbuch IT-Management. München 2020.
[5]  Takeda, H.: Das synchrone Produktionssystem: Just-intime für das ganze Unternehmen. München 2012.
[6]  Womack, J. P.; Jones, D. T.: Lean Thinking: Ballast abwerfen, Unternehmensgewinn steigern. Frankfurt a. M. 2013.
[7]  Bergmann, R.; Tiemeyer, E.: IT-Governance, in Handbuch IT-Management. München 2020.