Chefs voller Selbstzweifel

Ein Drittel der Führungskräfte hierzulande fühlt sich mit ihrer Position überfordert und hat mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine Umfrage unter Führungskräften, die in Kooperation der Universität Witten/Herdecke mit der Bertelsmann-Stiftung entstanden ist. Guido Möllering ist Professor für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke und Mitautor der Studie. Ein Gespräch über ständige Veränderung, einsame Wölfe und Wege aus der Frustration.

Herr Möllering, warum macht Chefsein keinen Spaß mehr? 
Die Gründe dafür finden sich im direkten Arbeitsumfeld. Die meisten Führungskräfte haben selbst einen Chef, der Anforderungen stellt. Wenn sie das Gefühl haben von oben kommt nur Gängelung und Bürokratie, dann entsteht Frust. Führungskräfte, die sich überfordert fühlen, haben zudem ein negativeres Bild von ihren Mitarbeitern und nehmen sie als wenig motiviert wahr. Und dann fangen sie an daran zu zweifeln, ob sie diese Führungsposition überhaupt noch ausfüllen können und wollen. Es fehlt an positiver Rückmeldung und Bestätigung. 

Ist Chefsein schwieriger geworden?
Ständig wird betont, dass Dinge anders werden müssen, dass man sich anpassen muss. Das Thema Change Management ist ganz akut und das müssen die Vorgesetzten an ihre Mitarbeiter weitergeben. Dadurch entsteht Verunsicherung auf beiden Seiten. Und die vielen Veränderungsprozesse, die auch nötig sind, zehren an den Kräften. 

Es sind also keine fachlichen, sondern zwischenmenschliche Probleme? 
Das fachliche ist natürlich wichtig. Und es ist ein großes Problem, wenn die Mitarbeiter wahrnehmen, dass der Chef keine Ahnung von der Materie hat. Aber das, was heute die eigentliche Führungsrolle ausmacht, ist die menschliche Ebene. Als Mentor, als Vorbild. Es geht darum, den Mitarbeitern zu zeigen, warum es gut ist, sich für gewisse Ziele zu engagieren. Und wenn man in der Interaktionen merkt, dass es nicht funktioniert, dann liegt das meist nicht an einer Person allein. Hier muss man dann ansetzen. Ganz wichtig dabei ist, dass wir das nicht auf die Persönlichkeit der Führungskräfte zurückführen. Es gibt den traditionellen Ansatz zu sagen, manche sind halt nicht zur Führungskraft geboren und sollten solche Positionen deshalb nicht übernehmen. Grundsätzlich kann jeder Führungspositionen ausüben – unter den richtigen Bedingungen.

Wie schafft man die?
Herrscht Frustration und ziehen sich Führungskräfte gegenseitig runter, dann braucht es jemand von außen, um sich wieder zu verständigen. Dann gilt es rauszufinden: Liegt es an den Personen oder daran, dass Ziele und Aufgaben unklar sind. Meist findet man schnell heraus, dass keiner dem anderen etwas Böses will und die Probleme woanders liegen. Hier muss man dann den Mut finden, das anzusprechen. Auch für jemanden, der noch in die Führungsrolle hineinwächst, würde ich ein Coaching empfehlen, um ihn zu unterstützen, noch bevor Dinge im Argen liegen. Man könnte sogar so weit gehen, dass es selbstverständlich werden sollte, dass Führungskräfte so einen Resonanzraum bekommen.

Gibt es denn die Bereitschaft für Reflexion in den oberen Etagen?
Das Tagesgeschäft lässt kaum Raum dafür. Es gibt zwar die Hoffnung, wenn die dringenden Probleme vom Tisch sind, dass dann die atmosphärischen Störungen dran kommen, aber das passiert nicht. Das Tagesgeschäft drängt einfach immer wieder. Hinzu kommen noch die  Führungsstile unterschiedlicher Generationen. Die Baby Boomer und ein Teil der nachfolgenden Generation X haben gelernt, dass sie als Führungskräfte einsame Wölfe sind, Druck aushalten und Entscheidungen alleine treffen müssen. Diese heroische Vorstellung von Führungskraft hat sich eingeprägt, da rauszukommen ist schwierig. Bei der älteren Generation ist der Bruch zwischen dem erlernten Führungsverhalten und wie sie jetzt führen sollten, recht groß. Sie fühlen sich und ihren Job, den sie schon lange machen und auch Erfolge vorzuweisen haben, in Frage gestellt. Da schwingt dann auch die Befürchtung mit, dass es falsch ist, wie sie es gelernt haben. Die Jüngeren haben die Hoffnung, dass sie anders agieren dürfen, mehr auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern. Sie sind aber unsicher, ob nicht doch von ihnen erwartet wird, eine harte Linie zu fahren. Dabei sollten wir uns einfach darauf einigen, dass sich Unternehmenskulturen ändern und weiterentwickeln. 

Was sind denn Alternativen zum einsamen Wolf an der Spitze? 
Es ist zeitgemäß in einer komplexen, sich schnell ändernden Welt, nicht mehr so stark auf einzelne Entscheider zu setzen. Stattdessen sollten Entscheidungen in Teams und in ganzen Abteilungen verteilt werden, um so einzelne zu entlasten. Es könnte doch ganz konstruktiv sein, Führungskräften zuzugestehen, dass sie nicht immer Führungskraft in allen Belangen sein müssen. Und die, die anderen übergeordnet sind, sich auch mal unterordnen können und sagen: „In diesem Projekt übernimmt mal jemand die Führung, der vom Organigramm her unter mir steht“. Das kennen viele in der Form nicht. Das ist aber möglich und neue Arbeitsweisen, die unter dem Stichwort Agilität laufen, suggerieren, dass man das ruhig mal ausprobieren soll.

Eine aktuelle Studie der KfW kommt zu dem Schluss, dass die Innovationskraft in Deutschland einen Tiefpunkt erreicht hat. Liegt das auch an den verunsicherten Führungskräften? 
Wir haben in der Studie auch Fragen zur Digitalisierung gestellt. 44 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland Innovationen nicht fördern würden. Und nochmal 37 Prozent stimmten immerhin teilweise zu. So können wir tatsächlich die These aufstellen, dass Führungskräfte, die an den Innovationsbedingungen zweifeln, keine große Euphorie aufbringen werden, Neuerungen in ihrem eigenen Unternehmen zu unterstützen. Im Allgemeinen sind Führungskräfte an wichtigen Schnittstellen, wo sie Innovationen in die Breite bringen und viele Leute überzeugen müssen. Doch die Führungskräfte, die an sich selbst und an den Bedingungen zweifeln, die werden nicht die treibenden Kräfte sein und ihre Rolle so ausüben, dass wir hier vorankommen. Dort wo der Druck an höchsten ist, ist paradoxerweise die Bereitschaft für Veränderungen am geringsten. Was ganz menschlich ist, dass wir uns bei Stress auf das Bekannte zurückziehen. Dabei wäre es gerade dann nötig aus der Drucksituation rauszukommen. Da ist es dann wichtig, dass jemand mit positiver Einstellung zur Veränderung kommt und sagt, „wenn wir das hinkriegen, das geht es uns danach noch viel besser“. Und auch hier kann ein Führungsteam helfen. Die, die Veränderungen gegenüber positiv eingestellt sind, können die anderen dann einfach mitziehen. 


Danke für das Gespräch 

 

Guido Möllering ist Professor für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke. (Foto Copyright: Quelle UW/H)

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