Ganzheitliche Nutzung der Digitalisierung für Arbeitsprozesse - Reifegradanalyse für Prozesse und deren Optimierung unter Verwendung eines Ordnungsrahmens für Produktivitätsstrategien

Sebastian Terstegen, Marc-André Weber, Frank Lennings und David Kese

Seit der Hannover Messe 2011 wächst in der Produktion die Bedeutung der Nutzung der Digitalisierung (auch als Industrie 4.0 bezeichnet) und die Präsenz des Themas in der allgemeinen Wahrnehmung steigt stetig. Täglich werden die Unternehmen daran erinnert, wie schnell und weitreichend der Wandel ist, wie viele Chancen er birgt und wie bedrohlich die Folgen eines verspäteten oder gar „verpassten“ Einstiegs wären. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen müssen beim „Wandel zur Industrie 4.0“ und bei der entsprechenden Implementierung und Anwendung digitaler Technologien unterstützt werden. Viele Unternehmen werden nicht sofort in der Lage sein, eine komplett neue Smart Factory zu erschaffen, aber dennoch gilt es, gezielte Investitionen zu tätigen, um sich Schritt für Schritt der Industrie 4.0 anzunähern. Dafür hilft es den Unternehmen, die Potenziale zur Verbesserung, die sie unter Berücksichtigung ihrer aktuellen Situation durch Nutzung der Digitalisierung für ihre Prozesse erreichen können, aufzuzeigen. Zugleich müssen Maßnahmen hergeleitet werden, um diese Potenziale zu realisieren.

Die Gestaltung der Digitalisierung betrifft sowohl die Geschäftsmodelle – und damit die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen – als auch die zu deren Erstellung notwendigen Prozesse. Als übergeordnete Maßnahme sollten Unternehmen zunächst ihre bestehenden Geschäftsmodelle und die zugehörige Unternehmensstrategie prüfen und ggf. anpassen. Auf dieser Basis können dann die eigenen Produkte und Dienstleistungen sowie die erforderlichen betrieblichen Prozesse definiert und optimiert werden. In diesem Beitrag wird ein Schwerpunkt auf die Prozessverbesserung durch Digitalisierung gelegt. Die Geschäftsmodellinnovationen durch Digitalisierung werden folglich nicht behandelt.
Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, die Produktivität, Qualität und Flexibilität betrieblicher Prozesse zu steigern. Ansatzpunkte hierfür sind u. a. eine verbesserte Ressourcennutzung bspw. zur Optimierung des Material- und Energieverbrauchs. Ein optimiertes Informationsmanagement, das auf sensorerfassten Echtzeitdaten beruht, gehört ebenso dazu, bspw. für eine vorausschauende Instandhaltung. Nicht zuletzt zählt auch eine durchgängige Nutzung digitaler Engineering- Daten, bspw. für umfangreiche Simulationen sowie Augmented und Virtual Reality, zur Digitalisierung.
Strategische Möglichkeiten zur Nutzung der Digitalisierung sind sukzessive auf die operationale Ebene anzupassen und zu konkretisieren. Dabei muss ein ganzheitlicher Ansatz für die Nutzung der Digitalisierung im Rahmen von Arbeitsprozessen sowohl für einzelne Arbeitsplätze als auch für das gesamte Produktionssystem gelten.
Die Digitalisierung verändert Arbeitsinhalte, -prozesse und -umgebungen. Eine adäquate Arbeitsorganisation und -gestaltung für die geänderten Bedingungen ist deshalb von großer Bedeutung. Sie kann durch einen erweiterten Ansatz gesichert werden, der neben der Technik weitere betriebliche Gestaltungsfelder berücksichtigt.
Betriebliche Akteure, die aktuell technische Veränderungen planen, mit deren Umsetzung in Kürze beginnen oder bereits in der Umsetzung befindliche Maßnahmen reflektieren und deren Wirkung verbessern möchten, sollten bei der Implementierung von Digitalisierungsansätzen unterstützt und dafür sensibilisiert werden, bestehende Geschäftsmodelle und Prozesse grundsätzlich zu reflektieren und betriebsspezifisch vorteilhafte Ansätze zu identifizieren. Dabei sollte insbesondere die ganzheitliche Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen zur Optimierung der Unternehmensprozesse fokussiert und auf möglichen Handlungsbedarf, der aus der Technik-Einführung resultiert, hingewiesen werden – u. a. in den Handlungsfeldern Arbeitsgestaltung, Betriebs- und Arbeitszeit, Entgelt und Arbeitsorganisation. Bleiben diese Handlungsfelder unberücksichtigt, können Digitalisierungsmaßnahmen scheitern oder ihr Potenzial nur unvollständig entfalten. Eine Hilfestellung bietet eine von den Autoren entwickelte umfangreiche Checkliste zur praxisorientierten Gestaltung der Digitalisierung im eigenen Unternehmen [2]. Deren ausführliche Abbildung ginge über den Rahmen dieses Beitrags hinaus, die Checkliste steht daher als kostenfreier Download über den Link in den Literaturangaben zur Verfügung [3].
Die Vorgehensweise zur Einführung der Digitalisierung sollte durch ein bereichsübergreifendes Team umgesetzt werden. Je nach Handlungsfeld können unterschiedliche Spezialisten unterstützend einbezogen werden. Die Möglichkeit, sich mithilfe eines Reifegradmodells über den eigenen Stand zu orientieren, scheint vor diesem Hintergrund attraktiv, auch wenn dies keinesfalls eine betriebsspezifische Detailplanung zur weiteren Vorgehensweise ersetzt.
 


Bild 1: Ordnungsrahmen für Produktivitätsstrategien auf Grundlage der Digitalisierung.

Standortbestimmung und Reifegradanalyse mithilfe von Checklisten und Selbsttests

Reifegradmodelle sind Hilfsmittel zur Beurteilung der aktuellen Situation eines Unternehmens hinsichtlich der bereits erfolgenden Nutzung der Digitalisierung bzw. der für ihre Nutzung erforderlichen Voraussetzungen. Neben der Bestimmung der eigenen Leistungsfähigkeit helfen sie auch beim Ableiten entsprechender Verbesserungsmaßnahmen und dienen Betrieben somit zur Unterstützung bei der strukturierten Weiterentwicklung.
Reifegradmodelle enthalten in der Regel zwei grundlegende Elemente. Erstens die Reifegradebenen: Es handelt sich hierbei meistens um drei bis sechs Stufen, die aufeinander aufbauen und durch klar formulierte Anforderungen voneinander abgegrenzt sind. Zweitens besitzt ein Reifegradmodell mehrere Dimensionen, wodurch verschiedene Merkmale der untersuchten Objekte beschrieben werden. Durch ein unterschiedliches Maß an Übereinstimmung zwischen definierten Kriterien und der Erfüllung der Kriterien ergeben sich verschiedene Grade der Reife. Jedem Reifegrad werden eine oder mehrere Anforderungen zugeordnet. Dieser gilt nur dann als erreicht, wenn sowohl die beschriebenen Kriterien der entsprechenden Stufe als auch die beschriebenen Kriterien aller vorhergehenden Stufen erreicht werden; die Reifegrade bauen demnach aufeinander auf.
Der Einsatz von Reifegradmodellen im Zusammenhang mit der Digitalisierung ist in der betrieblichen Praxis weit verbreitet. Das lässt sich vor allem mit den vielen Vorteilen begründen, die deren Nutzung mit sich bringt. Mithilfe von Reifegradmodellen können Verbesserungspotenziale in den verschiedenen Unternehmensbereichen systematisch identifiziert werden. Dabei können qualitative Sachverhalte so eingeordnet und bewertet werden, dass eine umfangreiche Analyse der Ist-Situation sowie ein Vergleich mit einem geplanten Soll-Zustand möglich ist. Dank des strukturierten Aufbaus innerhalb eines vorgegebenen Rasters und den definierten Anforderungsaspekten lassen sich die Sachverhalte intersubjektiv bewerten. Das heißt, dass die Einordnung für mehrere Betrachter, z. B. Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen mit einer jeweils anderen Sicht auf das Unternehmen, erkennbar und nachvollziehbar ist. Außerdem ist die Ermittlung des Reifegrads mithilfe eines Reifegradmodells in der Regel unkompliziert und in kurzer Zeit durchführbar. Die Ergebnisse liegen unmittelbar nach Abschluss der Bewertung vor und erlauben eine direkte Interpretation.
Der geringe Zeitaufwand zur Bestimmung des Status quo der Digitalisierung im eigenen Unternehmen macht insbesondere diejenigen Reifegradmodelle interessant, die mittels einer Selbstbewertung über das Internet angewendet werden können. Die Beantwortung unterschiedlicher Fragen, die sich auf verschiedene spezifische Themenbereiche der Digitalisierung beziehen, erlaubt einen Rückschluss auf die eingesetzten Technologien und ermöglicht die ungefähre Einordnung des Unternehmens bzw. einzelner Unternehmensbereiche in die Reifegradmodelle. Kritisch zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich mit Reifegradmodellen oftmals nicht herleiten lässt, welche dezidierten Schritte oder Maßnahmen zur erfolgreichen Nutzung der Digitalisierung ergriffen werden sollten.
Zur Bestimmung unternehmensindividueller Maßnahmen bieten diejenigen Reifegradmodelle Vorteile, bei denen der Reifegrad eines Unternehmens in Kooperation mit einem Consulting-Partner bestimmt wird, der den Entwicklungsprozess unterstützt. Auch wenn diese Erhebungsmethoden mit Kosten verbunden und zeitaufwendiger sind, lässt sich so eine objektive Analyse erreichen. Im Anschluss an die Reifegradbestimmung erfolgt die Herleitung konkreter Maßnahmen. Die Berater geben Handlungsempfehlungen, teilweise erarbeiten sie sogar eine unternehmensspezifische Roadmap.
Darüber hinaus unterscheiden sich Reifegradmodelle zur Bewertung der Digitalisierung hinsichtlich der analysierten Themenbereiche und der Anwendung. Während sich insbesondere die Modelle zur Selbstbewertung meist auf technische Aspekte der Produktion, wie z. B. IKT-Infrastruktur, Maschine-zu-Maschine- Kommunikation oder Datenverarbeitung, fokussieren, werden bei Modellen mit einer kooperativen Reifegradbewertung zumeist die gesamten Wertschöpfungsprozesse untersucht, bspw. produktbezogene IT-Services, Geschäftsmodelle etc.
Eine Studie des ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft [1, 2], in der verschiedene Reifegradmodelle untersucht wurden, zeigt, dass Unternehmen mit einer ständig wachsenden Vielfalt an Reifegradmodellen zur Bestimmung ihres „Digitalisierungsgrads“ konfrontiert sind. Die Ergebnisse einer Reifegradanalyse leiten Unternehmen nicht automatisch in die richtige Richtung. Sie ersetzen auch nicht den selbstkritischen und kompetenten Blick auf die eigene Ausgangssituation. Anwender sollten unbedingt darauf achten, einen Check zu wählen, der zu ihrer Situation und dem geplanten weiteren Vorgehen passt. Wer die eigene Situation selbst in Ruhe analysieren möchte, braucht dazu nicht unbedingt externe Consulting-Partner. Wer sich dennoch für die Zusammenarbeit mit ihnen entscheidet, sollte deren Kompetenzen kennen.

Ordnungsrahmen für Produktivitätsstrategien auf Grundlage der Digitalisierung

Sobald das Unternehmen seine Wettbewerbssituation auf der einen Seite und seine eigenen technologischen sowie organisatorischen Voraussetzungen auf der anderen Seite analysiert hat, kann es eine oder mehrere für sich passende Digitalisierungsmaßnahmen bestimmen. Darunter fallen alle technischen Aspekte, die unter dem Begriff Digitalisierung zusammengefasst werden – bspw. Datenbrillen, additive Fertigungsverfahren, kollaborierende Robotersysteme, sensorische Datenerfassung oder Nutzung von Big Data Analytics. Der Einsatz dieser Technologien soll immer mit der Zielsetzung erfolgen, dadurch die Produktivität des Unternehmens zu verbessern, d. h. Output zu erhöhen und/oder Input zu verringern. Sie müssen somit Bestandteil einer klar definierten Strategie zur Nutzung der Digitalisierung einschließlich eines dafür vorgesehenen Umsetzungskonzepts sein.
Ein Ansatzpunkt, wie eine geeignete Technik gefunden werden kann, ist die Überlegung, wo im Unternehmen ihr Einsatz erfolgen soll und mit welcher Zielstellung. Hierbei hilft ein Ordnungsrahmen für durch die Digitalisierung geprägte Produktivitätsstrategien in Anlehnung an [5] (Bild 1).
Zunächst müssen sich Unternehmen darüber Gedanken machen, ob sie über die Outputoder die Inputseite ihre Produktivität beeinflussen möchten (zeilenweise als α1 bzw. α2 in Bild 1 dargestellt). Auf der Outputseite (α1) kann beispielsweise die Kundenbeziehung durch digitale Serviceangebote verbessert werden, um das Verkaufsvolumen zu steigern. Auf der Inputseite (α2) können etwa die Leistungsfähigkeit der Anlagen durch geringere Stillstandzeiten oder reduzierte Materialverbräuche aufgrund feinerer Dosierungen zu einer besseren Produktivität beitragen [4].
Mittels der durch die Digitalisierung verbesserten Informationstechnologie können Aufwände der Informationshandhabung (Erfassung, Weiterleitung, Verarbeitung, Bereitstellung, Nutzung) verringert werden. Diese Schritte der Informationshandhabung stellen Anwendungsgebiete für die Digitalisierung dar (in Bild 1 spaltenweise auf der vorderen Achse dargestellt und mit ß1 bis ß5 bezeichnet).
Bei der Datenerfassung (ß1) gilt es insbesondere, die einzusetzende Sensorik zu bestimmen sowie festzulegen, wo diese genutzt werden soll und wie häufig Daten zu erfassen sind. Für die Datenweitergabe (ß2) sind die Übertragungstechnik sowie der Umgang mit Schnittstellen und die Festlegung von Datenstandards wesentlich. Die Nutzung von Big Data Analytics und Cloud-Computing sind zwei mögliche Ansätze der Digitalisierung für die Datenverarbeitung (ß3), um aus den zuvor ermittelten Rohdaten brauchbare Informationen zu gewinnen. Die Bereitstellung dieser Daten (ß4) kann bspw. auf herkömmlichen Bildschirmen, aber auch auf Tablets, Smartwatches, Datenbrillen oder per Projektion erfolgen. Für die Nutzung der Daten (ß5) ist unter anderem festzulegen, wer diese erhält, in welchen Intervallen, ob sie in Regel- und Steuerkreisläufe eingebettet sind und welche Handlungen daraus abgeleitet werden sollen.
Welche Daten verarbeitet werden und wofür, kann in der Regel grob untergliedert werden nach direkten und indirekten Unternehmensbereichen (spaltenweise auf der hinteren Achse durch γ1 und γ2 in Bild 1 dargestellt). In den direkten Bereichen (γ1) kann die Digitalisierung beispielsweise in der Produktion verwendet werden, um Maschinendaten zu erfassen und darauf basierend Wartungsinformationen an Instandhalter zu geben. In den indirekten Bereichen (γ2) kann die Digitalisierung von der automatisierten Rechnungsstellung über die Prüfung von Zahlungseingängen bis hin zur Auswertung der Rentabilität einzelner Verkäufe reichen. Anstelle der relativ groben Unterteilung in direkte und indirekte Bereiche kann bei Bedarf auch eine feinere Einteilung gewählt werden, welche die verschiedenen Bereiche des Unternehmens berücksichtigt.
Mit dieser dreiteiligen Klassifizierung (α, ß, γ) können 20 „Würfel“ angesprochen werden, in die Beispiele für die Digitalisierung einsortiert werden können. Ein konkretes Anwendungsbeispiel ist etwa die Nutzung eines Tablets zur Bereitstellung von Montageinformationen in der Produktion. Die Leistung der Beschäftigten wird erhöht, weil sie viel schneller sehen, wie sie Montageschritte vorzunehmen haben. Durch die effizientere Nutzung der Montagezeiten reduziert sich der Zeitaufwand. Außerdem wird die Qualität erhöht durch interaktive Checklisten, die bei der Kontrolle des Zusammenbaus helfen (α1/α2, ß4, γ 1). Die Produktivitätsstrategie „Montageunterstützung durch Tablets“ betrifft somit zwei Würfel des Ordnungsrahmens. Auf diese Weise können unzählige weitere Beispiele für Digitalisierungsmaßnahmen zur Produktivitätsbeeinflussung klassifiziert werden.
 


Bild 2: Mehrstufiges Vorgehen zur Bestimmung und Umsetzung der
Digitalisierungsaktivitäten und -maßnahmen.

Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen

Die Auswahl von Digitalisierungsmaßnahmen aus dem Ordnungsrahmen und deren Integration in das eigene Unternehmen darf nicht unstrukturiert erfolgen. Idealerweise sind sie in ein ganzheitliches Konzept integriert und unterstützen die strategischen Ziele des Unternehmens.
Jede Digitalisierungsmaßnahme muss nach ihrer Auswahl auch umgesetzt werden. Dafür ist es nicht zu empfehlen, die Technik zu installieren und dann zu schauen, ob die Mitarbeiter sie akzeptieren und im Sinne des Unternehmens einsetzen. Vielmehr muss die Integration der Digitalisierungsmaßnahmen in bestehende Prozesse ganzheitlich geplant und durch ausreichende Qualifizierungsmaßnahmen begleitet werden. Dazu haben die Experten des ifaa ein mehrstufiges Vorgehen zur Bestimmung und Umsetzung der Digitalisierungsaktivitäten und -maßnahmen entwickelt (Bild 2). Die zweite Stufe (Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen) beschreibt dafür eine idealtypische Vorgehensweise.
Im ersten Teilschritt wird das an der Umsetzung beteiligte Team für mögliche Auswirkungen der jeweiligen Digitalisierungsmaßnahme sensibilisiert. Dafür eignet sich eine Fokussierung auf elf Handlungsfelder, die – mehr oder weniger stark – durch die Digitalisierung betroffen sind. Diese sind: Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Qualifikation und Qualifizierung, Betriebs- und Arbeitszeit, Entgelt, Datenschutz, Datensicherheit, Mitbestimmung, externe Unterstützung sowie Wirtschaftlichkeit und Erfolg. Diese können beispielsweise mittels [3] umfassend analysiert werden. Dabei hilft eine kritische Reflexion, die sicherstellen soll, dass alle relevanten Aspekte rechtzeitig durchdacht und berücksichtigt werden. Nicht alle Handlungsfelder werden sich dabei – je nach betrachteter Digitalisierungsmaßnahme – als gleich herausfordernd erweisen. Deshalb können auch abzuleitende Entscheidungen zur weiteren Vorgehensweise verschieden intensiv und umfänglich ausfallen.
Durch die Vorgehensweisen, die das Unternehmen bei der Integration von Digitalisierungsmaßnahmen beschließt, muss für jedes Handlungsfeld sichergestellt werden, dass alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt sind. Das bedeutet, dass die positiven Effekte, die erzielt werden sollen, möglichst umfänglich eintreten und negative Effekte reduziert oder gar eliminiert werden. Aus diesem Grund wird im zweiten Teilschritt für jedes Handlungsfeld bestimmt, wie genau die Umsetzung erfolgt und was dabei zu beachten ist.
Eine wesentliche Rolle zum Gelingen der Umsetzung trägt das dafür verantwortliche Team. In manchen Fällen empfiehlt es sich, je nach Komplexität der einzuführenden Digitalisierungsmaßnahmen, das interne Team der Unternehmensvertreter zu ergänzen durch externe Berater, beispielsweise aus dem Consulting oder aus Arbeitgeberverbänden.

Praxiserfahrungen hinsichtlich Anwendung und Nutzen

Praxiserfahrungen der Autoren, die unter Anwendung des oben genannten Konzepts in Zusammenarbeit mit Unternehmensvertretern gesammelt wurden, bestätigen, dass die gewählte Vorgehensweise zielführend ist. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass durch die Berücksichtigung der elf Handlungsfelder die Gefahr deutlich reduziert werden kann, etwas zu „übersehen“, was die nachhaltige Umsetzung behindert oder misslingen lassen kann.
Ausgewählte Beispiele von Unternehmen verdeutlichen dies. Ein Betrieb hat kollaborierende Robotersysteme für Produktionsmitarbeiter eingeführt, mit denen die Flexibilität gesteigert und die physische Belastung der Beschäftigten reduziert wurde. Jedoch muss dieser Arbeitgeber auch dafür Sorge tragen, dass seine Mitarbeiter sorgfältig und sachgerecht mit der Technik umgehen, weshalb Qualifizierungen notwendig waren. In einem anderen Betrieb haben sich die Tätigkeiten für Facharbeiter durch neue Technologien stark vereinfacht. Um die Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter auch weiterhin zu nutzen sowie eine Herabstufung der Eingruppierung zu umgehen, hat das Unternehmen frühzeitig alternative Tätigkeitsfelder mit vergleichbaren Anforderungen für diese Personen vorgesehen. An den ursprünglichen Arbeitsplätzen arbeiten jetzt Mitarbeiter mit geringerer Qualifikation.
Experten sind sich zudem einig: Die Digitalisierung sollte auf dem soliden Fundament robuster und verschwendungsfreier Prozesse etabliert werden. Dieses Fundament muss zunächst mit den passenden Methoden des Lean Management, Ganzheitlicher Produktionssysteme oder des Industrial Engineering geschaffen werden. Deren „reife“ Umsetzung ist also ein wichtiger Erfolgsfaktor und Voraussetzung für die Umsetzung der Digitalisierung. Die Güte des Fundaments bleibt jedoch in Reifegradmodellen oft unberücksichtigt. Unternehmen sollten auch ihre diesbezüglichen Voraussetzungen sorgfältig reflektieren und scheinbar „altmodische“ konventionelle Verbesserungspotenziale nicht aus dem Blick verlieren. Sie werden durch die Digitalisierung nicht überflüssig, sondern verstärken die Wirksamkeit digitaler Technologien bzw. sind Voraussetzung dafür.

Die Autoren danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung des Projekts TransWork (FKZ 02L15A164), in dessen Rahmen dieser Beitrag entstanden ist.

Schlüsselwörter:

Industrie 4.0, Digitale Transformation, Reifegradanalyse, Produktivitätsmanagement

Literatur:

[1] Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V.: Wie reif sind wir für die Industrie 4.0? – Sinn und Unsinn digitaler Reifegradmodelle. Pressemitteilung, 2017. URL: https://www. a rbeitswissenschaft. net/fileadmin/ user_upload/Dokumente/ Pressemitteilungen/2017/ PM_ifaa_Reifegradmodelle_ Industrie_4.0.pdf, Abrufdatum 19.01.2018.
[2] Kese, D.; Terstegen, S.: Industrie 4.0-Reifegradmodelle. URL: https://www.arbeitswissenschaft. net/uploads/tx_news/ Tool_I40_Reifegradmodelle. pdf, Abrufdatum 19.01.2018.
[3] Weber, M.-A.; Terstegen, S.; Lennings, F.: Checkliste Digitalisierung/ Industrie 4.0 in der Praxis; Geschäftsstrategie und Prozesse ganzheitlich gestalten. Bergisch Gladbach 2017. URL: https://www.arbeitswissenschaft. net/fileadmin/ user_upload/Dokumente/ Praxis-Broschueren_des_ifaa/ Checkliste_I-40_Formular.pdf, Abrufdatum 19.01.2018.
[4] Nebl, T.: Produktivitätsmanagement – Theoretische Grundlagen, methodische Instrumentarien, Analyseergebnisse und Praxiserfahrungen zur Produktivitätssteigerung in produzierenden Unternehmen. München 2002.
[5] Weber, M.-A.; Jeske, T.; Lennings, F.; Stowasser, S.: Framework for the Systematical Design of Productivity Strategies. In: Trzcielinski, S. (Hrsg): Advances in Ergonomics of Manufacturing – Managing the Enterprise of the Future. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Aspects of Advanced Manufacturing, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Cham 2017.